Vernehmlassung: Familienergänzende Kinderbetreuung: Kitas Stadt Bern: Teilrevision FEBR
Familienergänzende Kinderbetreuung: Kitas Stadt Bern: Vorschüsse Spezialfinanzierung und trägerschaftsbedingte Mehrkosten/Leistungserbringer: Zusatzleistungen, Einbezug und Monitoring: Reglement vom 11. Juni 2020 über die familienergänzende Betreuung von Kindern (Betreuungsreglement; FEBR; SSSB 862.31); Teilrevision
Das Grüne Bündnis Bern (GB) begrüsst die Teilrevision des Reglements über die familienergänzende Betreuung von Kindern (Betreuungsreglement, FEBR) und dankt dem Gemeinderat für die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Ausgangslage
Die aktuelle Debatte zur Frage der Kindertagesstätten (Kitas) macht deutlich, mit welchen Herausforderungen die familienergänzende Kinderbetreuung heute zu kämpfen hat. Dies ist Ausdruck einer umfassenden Krise der Bildungs-, Betreuungs- und Sorgearbeit, die unter der bürgerlichen (Spar-)Politik auf kantonaler und nationaler Ebene kontinuierlich abgebaut, prekarisiert und damit wieder zunehmend ins Private ausgelagert wird.
In diesem Kontext gilt es, den Einsatz der Kitas und ihrer Mitarbeiter*innen für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung anzuerkennen und zu würdigen. Viele arbeiten sehr engagiert und unter grossem Druck, um den Kindern eine qualitativ hochwertige Betreuung bieten zu können. Damit erfüllen sie grundlegende gesellschaftliche Aufgaben im Bereich der frühkindlichen Bildung
und der sozialen Integration und stärken so die Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Zudem fördern Kitas die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und weiteren Verpflichtungen und sind damit ein unverzichtbares Element auf dem Weg zur Geschlechtergleichstellung.
Dies gilt aus Sicht des GB sowohl für städtische als auch für private Kitas. Auch Letztere haben unterschiedliche Voraussetzungen in Bezug auf ihre Betriebsmodelle, Finanzierungsmöglichkeiten, Betreuungskonzepte und Arbeitsbedingungen. Gemeinsam ist jedoch allen Kitas, dass sie aktuell einer Marktlogik untergeordnet sind, die aus Sicht des GB für die Bereiche Bildung, Betreuung, Pflege und Sorgearbeit nicht funktioniert. Bei der familienergänzenden Kinderbetreuung in der Stadt Bern zeigt sich dies insbesondere an den
folgenden Entwicklungen:
Die Nachfrage nach Kita-Plätzen ist seit Corona rückläufig, insbesondere bei Familien mit tieferen Einkommen. Diese Dynamik ist besorgniserregend, denn sie gefährdet die Chancengerechtigkeit und die Vereinbarkeit massiv. Kitas sind weit mehr als ein Kinderhütedienst: Sie sind wichtig für die Frühförderung, wie beispielsweise die vorschulische Sprachförderung, die soziale Integration
und die Gleichstellung. Damit alle Kinder unabhängig vom sozioökonomischen Status ihrer Eltern die Chance haben, eine Kita zu besuchen, braucht es insbesondere im Kontext der steigenden Lebenskosten ein bezahlbares Angebot, das sich alle Familien in der Stadt Bern leisten können.
Aktuell ist das Kita-Angebot in verschiedenen Stadtteilen in Bern jedoch sehr unterschiedlich ausgestaltet. In Stadtteilen mit vielen einkommensschwachen Familien gibt es gerade mal eine (städtische) Kita, während andernorts ein Überangebot besteht. Das liegt daran, dass der Betrieb einer Kita in sozioökonomisch schwächeren Stadtteilen in der herrschenden Marktlogik kaum
stemmbar ist. Um eine minimale Versorgung und damit Chancengerechtigkeit für Kinder in allen Stadtteilen von Bern zu gewährleisten, braucht es demnach zusätzliche Finanzierung.
Schliesslich setzt die Unterfinanzierung von Seiten Bund und Kanton das Personal und die Arbeitsbedingungen in den Kitas stark unter Druck. Die Situation ist häufig prekär und führt nicht selten zu Kündigungen, was sich negativ auf die Situation der verbleibenden Mitarbeiter*innen und das Wohl der Kinder auswirkt, da häufige Wechsel von Betreuungs- und Bezugspersonen den Aufbau von stabilen Beziehungen beeinträchtigt. Es ist also im Sinne aller – Kinder, Familien,
Kitas und Angestellten -, dass in den Kitas mit guten Arbeitsbedingungen und genügend Flexibilität gearbeitet werden kann, um die Qualität der Betreuung auch bei Schwankungen des Marktes aufrechterhalten zu können. Vor diesem Hintergrund nimmt das GB wie folgt Stellung zum Vorschlag des Gemeinderats zur
Teil-Revision des Betreuungsreglements:
Stellungnahme zur Vernehmlassungsvorlage im Grundsatz
Das GB ist der Überzeugung, dass die familienergänzende Kinderbetreuung in erster Linie aus der Perspektive der Kinder, ihrer Eltern und Betreuungspersonen gedacht werden soll: Wenn ein Kind eine Kita besucht, soll es eine qualitativ hochwertige Betreuung erhalten. Dazu ist es unabdingbar, dass in allen Stadtteilen der Stadt Bern ein bezahlbares und qualitativ gutes Angebot besteht. Aktuell ist der Kita-Markt im Umbruch, es ist noch nicht absehbar, wie er sich längerfristig entwickelt.
Für das GB ist es daher zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, das bestehende System mit privaten und städtischen Kitas zu stabilisieren und wenn notwendig, finanziell zu unterstützen, um das bestehende Netz und die Versorgung aufrechtzuerhalten. Zusätzliche Versorgungssicherheit fordert das GB, indem die Stadt Bern als minimaler Service public mindestens eine städtische Kita pro Stadtteil führt. Damit besteht pro Stadtteil mindestens ein Angebot, wenn der Markt ins Wanken kommt.
Aus einer langfristigen Perspektive ist es jedoch unerlässlich, die Entwicklungen genau zu beobachten und das aktuelle System kontinuierlich zu überprüfen, da die Marktlogik für Kitas und ihre Funktionen in den Bereichen Frühförderung, Bildung, Beziehungsarbeit und soziale Integration aus Sicht des GB keine geeignete Lösung darstellt.
Zu den einzelnen Artikeln des vom Gemeinderats vorgeschlagenen Betreuungsreglements
Art. 4a (neu) Monitoring
Das GB begrüsst die Implementierung eines regelmässigen Monitorings zu Angebotsübersicht, Auslastung und Nachfrage. Gerade weil sich die Kita-Landschaft in einem Umbruch befindet und die Entwicklungen der nächsten Jahre schwer einschätzbar sind, kann ein regelmässiges Monitoring dazu dienen, die Gefahr einer Kita-Unterversorgung in bestimmten Stadtteilen frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Art. 4b (neu) Dialog mit den Leistungserbringern
Das GB begrüsst die Einführung eines regelmässigen Austauschs zwischen der Verwaltung und den Leistungserbringern. Kita-Betreiber*innen, private wie städtische, stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Die Hochhaltung einer guten Betreuungsqualität bei sinkenden Zahlen von Kindern, welche eine Kita besuchen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Schaffung von mehr Transparenz und die Pflege eines kontinuierlichen Dialogs zwischen den Leistungserbringern bieten die Chance, gemeinsam die Kita-Landschaft zum Wohl der Kinder zu erhalten und weiterzuentwickeln. Von einem regelmässigen Austausch zwischen der Verwaltung und den Leistungserbringern erhofft sich das GB, dass Schwierigkeiten angesprochen, Best-Practice-Beispiele diskutiert und gemeinsame Lösungsansätze gefunden werden können.
Auch punkto Arbeitsbedingungen hat der vorgesehene Kita-Dialog das Potenzial, positive Entwicklungen anzustossen. In diesem Sinne regt das GB an, dass der Gemeinderat im Rahmen dieses Dialogs nach dem Vorbild der Stadt Zürich die Einführung eines GAV mit den Leistungserbringern thematisiert, um Verbesserungen bei den Anstellungsbedingungen und den Löhnen im Kitabereich zu erreichen.
Art. 11a (neu) 2a. Abschnitt (neu): Zusatzleistungen der Stadt für Leistungserbringer
Das GB begrüsst Zusatzleistungen für Leistungserbringer für die Betreuung von Kindern, die Förderbedarf im sprachlichen oder sozialen Bereich haben. Für das GB übernehmen Kitas wichtige Bildungsaufgaben. Studien zeigen auf, dass Kinder, welche mit sprachlichen oder allgemeinen Bildungsdefiziten in den Kindergarten oder in die Basisstufe eintreten, diese Defizite im Lauf der obligatorischen Schulzeit nicht mehr aufholen. Der hohe Nutzen von Frühförderung, um sprachliche oder allgemeine Bildungslücken vor dem Eintritt in das obligatorische Bildungssystem zu schliessen oder Kinder mit einem besonderen Förderbedarf zu unterstützen, ist wissenschaftlich gut belegt. Auch die frühe Auseinandersetzung mit sich selbst und der soziale Umgang mit anderen Kindern helfen Kindern bei ihrem späteren Einstieg in den Zyklus 1. Damit die Leistungserbringer diesen Bildungsauftrag wahrnehmen können, sind Zusatzleistungen unabdingbar.
Das GB regt daher an, den Artikel 11a, 2a offener zu formulieren, so, dass Zusatzleistungen auch aus anderen Gründen erfolgen können, die dazu beitragen, dass alle Kinder Zugang zu einer qualitativ hochstehenden, förderorientierten Betreuung bekommen. Dabei geht das GB und davon aus, dass die Leistungserbringenden auf Qualitätsstandards kontrolliert werden, damit der
Nutzen vollumfänglich den Kindern zugutekommt und so der Chancengleichheit dient. Zudem regt das GB an, zu prüfen, ob für Bern die Einführung von Normkosten und Sockelbeiträgen analog Zürich zielführend wäre.
Art. 17 Eigene Kindertagesstätten
Das GB begrüsst nachdrücklich, dass die Stadt weiterhin eigene Kitas betreibt. Für das GB gehören Kitas zum Service public. Der Stadt kommt die Aufgabe zu, eine minimale Kita-Abdeckung und damit einen minimalen Service public in jedem Stadtteil zu garantieren.
Darüber hinaus versteht das GB Kitas als Bildungseinrichtungen und erachten es als unbedingt notwendig, dass die öffentliche Hand die Bildungslandschaft, auch im Bereich der frühkindlichen Bildung, mitentwickelt und mitprägt. Hinzu kommt: Die Stadt kann innerhalb des Kita-Marktes (aktuell besuchen ca. 15% der Kinder eine städtische, 85% eine private Kita) die Rolle übernehmen, den Austausch zwischen den Leistungserbringern zu koordinieren und den Umgang mit der schwierigen Marktsituation mittels Monitoring zu begleiten.
Art. 18 Spezialfinanzierung
Das GB stimmt dem Gemeinderat zu, dass von den vier diskutierten Varianten von
Trägerschaftsmodellen die Variante 2, also die Optimierung der Spezialfinanzierung bei Beibehaltung des jetzigen Trägerschaftsmodells, zum jetzigen Zeitpunkt die beste ist.
Variante 1, die Auslagerung in eine stadteigene, rechtlich selbständige Unternehmung und Variante 4, der Rückzug der Stadt aus dem Kita-Markt als Anbieterin von Leistungen, erachtet das GB als nicht zielführend, weil beide Varianten sehr teuer wären und die Folgen dieser Änderungen im aktuellen, sehr wechselhaften Kita-Markt unabsehbar sind.
Bei der Variante 3, der Rückführung in die Stadtverwaltung, sieht das GB wie der Gemeinderat das Risiko, dass die privaten Leistungsträger*innen diese Variante ablehnen. Diese machen aktuell immerhin 85% aller Angebote aus. Das GB ist daher zum jetzigen Zeitpunkt der Ansicht, dass dem Wohl der Kinder und ihrer Chancen auf eine gute Kita-Betreuung am besten gedient ist, wenn das aktuelle System mit privaten und städtischen Kitas stabilisiert und wo nötig zusätzlich finanziert wird. Mit Blick auf die starken Veränderungen in der Kita-Landschaft in Bern
– unter anderem wegen der sinkenden Nachfrage nach Plätzen, der Nachfrage nach kürzeren Betreuungszeiten und der Tendenz, Kindergartenkinder in der schulergänzenden Tagesbetreuung zu betreuen – ist es aus Sicht des GB zum jetzigen Zeitpunkt angezeigt, mit Variante 2 und der Abgeltung von trägerschaftsbedingten Mehrkosten die Versorgungssicherheit zu stabilisieren.
Wie jedoch eingangs ausgeführt, erwartet das GB vom Gemeinderat, dass er die Lage weiterhin beobachtet und weitere Varianten regelmässig prüft, da das GB der Ansicht ist, dass es einen grundlegenden Systemwechsel braucht und die Regelung durch den Markt nicht die abschliessende Lösung sein kann.
Abgeltung der trägerschaftsbedingten Mehrkosten
Grundsätzlich befürwortet das GB die Abgeltung von trägerschaftsbedingten Mehrkosten. Damit kann sichergestellt werden, dass die Stadt eigene Kitas und damit einen minimalen Service public anbieten kann. Vor dem Hintergrund der schwer vorhersehbaren Veränderungen in der Kita-Landschaft in Bern benötigt die Stadt finanziellen Spielraum, um eine minimale Versorgung
aufrechtzuerhalten.
Dazu begrüsst das GB das Modell sowie den Vorschlag, die Abgeltung der
trägerschaftsbedingten Mehrkosten jährlich im Rahmen des Budgetprozesses im Stadtrat festzulegen. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Geschäft regelmässig in den politischen Gremien diskutiert wird, regt das GB an, grössere Flexibilität vorzusehen in Bezug darauf, welche Mehrkosten mit welchen Faktoren abgegolten werden können. Der aktuelle Vorschlag ist äusserst restriktiv ausgelegt und deckt nur einen kleinen Teil der Mehrkosten, die im Expertenbericht identifiziert wurden. Je nachdem, wie sich die Situation in der familienergänzenden Kinderbetreuung in der Stadt Bern entwickelt, ist es sinnvoll, weitere Mehrkosten abzugelten, um zu gewährleisten, dass die Stadt einen minimalen Service public sicherstellen kann.
Das GB schlägt deshalb vor, die Mehrkosten, die mit dem geltenden Personalreglement und den Anstellungsbedingungen der städtischen Mitarbeiter*innen zusammenhängen, alle mit Faktor 1 in die Berechnung aufzunehmen. Darunter fallen namentlich die Teuerung, die Familienzulagen,
die Pensionskasse, die Lohnfortzahlungen, sowie die Lehrmittel für Lernende. Gerade bei Letzteren handelt es sich nicht um hohe Kosten, wohl aber um ein Zeichen von Wertschätzung gegenüber den Lernenden, auch, weil sich die Stadt bezüglich Löhnen für Lernende eher am unteren Ende der Skala befindet.