Motion Fraktion GB/JA! (Regula Tschanz, GB):
Angestrebtes Bevölkerungswachstum: Stadt Burgdorf zum Nulltarif?

Das neue Stadtentwicklungskonzept «STEK 2016» wurde vom Gemeinderat im Dezember 2016 verabschiedet und vom Stadtrat im September 2017 zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Gemeinderat verfolgt mit dem «STEK 2016» eine explizite Wachstumsstrategie. Konkret: Bis ins Jahr 2030 wird ein Bevölkerungswachstum von rund 12 Prozent angestrebt. Dies entspricht etwa 17’000 Personen bzw. einer Kleinstadt wie Burgdorf. Langfristig, für den Zeitraum ab 2030 bis ca. 2050, ist gemäss STEK ein Wachstum an Einwohnerinnen und Einwohnern in der Grössenordnung von insgesamt 20 Prozent denkbar.

Die Unterzeichnenden begrüssen das angestrebte Wachstum der Stadt Bern, gerade auch aus ökologischer Perspektive (Reduktion von Pendlerdistanzen). Gleichzeitig sind heute noch sehr viele Fragen offen – nicht zuletzt zu den finanzpolitischen Auswirkungen der Wachstumsstrategie. So wird im STEK (Seite 80) ohne weitere Angaben auf eine «Folgearbeit» verwiesen, «um zu detaillierten Aussagen bezüglich der bedingten Investitions- und Folgekosten zu gelangen». Im Vertiefungsbericht Siedlung und Freiraum (Seite 93) wird «der Hauptanteil der ermittelten Infrastrukturkosten» dem Ausbau von Schulraum und damit in Zusammenhang stehender Infrastruktur wie Turnhallen zugewiesen und auf Kosten «in dreistelliger Millionenhöhe» geschätzt. Das lässt riesigen Interpretationsspielraum (100-999 Mio. Franken) offen.

Bisher wurde suggeriert, dass die Wachstumsstrategie kaum zu zusätzlichen Kosten führen werde (vgl. z.B. STEK, Seite 80: «Der Hauptanteil des ermittelten Infrastrukturbedarfs bis 2030 kommt bereits aufgrund des heutigen Bedarfs und des ohnehin stattfindenden Wachstums innerhalb des Bestandes zum Tragen.»). Die Vorstellung, dass die Schaffung der Voraussetzungen für ein Wachstum von 17’000 neuen Einwohnerinnen und Einwohnern ohne nennenswerte Zusatzausgaben möglich sei, ist illusorisch:

  • Die Bewältigung der umfassenderen, komplexeren und zahlreicheren Areal-entwicklungen wird im Planungs- und Baubereich nur mit zusätzlichen personellen Ressourcen möglich sein (namentlich bei Immobilien Stadt Bern, Stadtplanungsamt, Hochbau Stadt Bern, Stadtgrün Bern usw.).
  • 17’000 zusätzliche Einwohnerinnen und Einwohner erfordern einen massiven Ausbau der Infrastruktur. Dabei handelt es sich oft um Vorinvestitionen, die schon beim Einzug der neuen Einwohnerinnen/Einwohner erfolgt sein müssen. Zu denken ist u.a. an Kitas, Kindergarten- und Schulinfrastruktur, Sport-infrastruktur indoor und outdoor, Jugend- und Freizeitinfrastruktur, Spielplätze, Freiräume, Grünanlagen, Verkehrs- und Tiefbauinfrastruktur wie Veloabstellplätze. Die zusätzlichen Investitionen werden einen deutlichen Anstieg der Abschreibungen zur Folge haben.
  • Das Bevölkerungswachstum führt zu einem Anstieg der Belastungen in diversen kantonalen Lastenausgleichsgefässen (Volksschule, öffentlicher Verkehr, Sozialhilfe).
  • 17’000 neue Einwohnerinnen und Einwohner erfordern einen mengenmässigen Ausbau des Leistungsangebots, annäherungsweise im Verhältnis zu den zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohnern (von Dienstleistungen im Bereich der Einwohnerkontrolle über kulturelle Angebote bis hin zu Quartier-, Gemeinwesen-, offener Kinder- und Jugendarbeit usw.).

Die Stadt Bern hat ein grosses Interesse daran, die strategischen Prioritäten in der Finanzpolitik so zu setzen, dass die Mittel gezielt zur Bewältigung der Wachstumsstrategie zur Verfügung gestellt werden können. Dafür braucht es eine Vorstellung, in welchen Bereichen und in welchen Zeiträumen mit welchen Vorinvestitionen/Vorleistungen und mit welchen Folgekosten (in beiden Fällen Erfolgsrechnung und Investitionsrechnung) zu rechnen ist und in welchem Rahmen diese mit zusätzlichen Steuereinnahmen aufgefangen werden können. Dies auch vor dem Hintergrund des bereits vorhandenen Sanierungsstaus.

Der Gemeinderat wird darum aufgefordert, dem Stadtrat unter Einbezug aller Direktionen einen Bericht zu den durch das angestrebte Bevölkerungswachstum bedingten Investitions- und Folgekosten – nach Möglichkeit auf einer Zeitachse – vorzulegen, der mindestens folgende Bereiche berücksichtigt:

  • verwaltungsinterner Aufwand durch zusätzlich erforderliche Kapazitäten zur Bewältigung der zahlreicheren und komplexeren Planungs- und Bauvorhaben;
  • Ausbau steuerfinanzierter Infrastrukturen wie Verkehrsanlagen, Schul- und Sportanlagen (siehe auch Aufzählung in der Begründung oben) und Aufzeigen der Konsequenzen für die Erfolgsrechnung (Abschreibungen, Unterhalt);
  • Auswirkungen des Bevölkerungswachstums auf die kantonalen Lastenausgleichsgefässe;
  • erwartetes Wachstum der Steuererträge aufgrund des Bevölkerungswachstums;
  • Zunahme der Konsumausgaben aufgrund der Bedürfnisse der neuen Einwohnerinnen/Einwohner (siehe nicht abschliessende Aufzählung in der Begründung oben);
  • allenfalls weitere Bereiche;
  • konzeptionelle Überlegungen zu einem regelmässigen Reporting an den Stadtrat über die (Kosten-) Entwicklung der Wachstumsstrategie.

Bern, 22. März 2018