Interfraktionelle Interpellation GFL/EVP, GB/JA!, AL/GaP/PdA, GLP/JGLP (Marcel Wüthrich, GFL / Matthias Stürmer, EVP / Katharina Gallizzi, GB / Eva Krattiger, JA! / Christa Ammann, AL / Luzius Theiler, GaP / Peter Ammann, GLP / Lionel Gaudy, BDP):

In seiner Antwort vom 1. November 2017 auf die Interfraktionelle Motion «Keine Renten-gelder für die Kriegsmaterialproduktion!»1 von GB/JA!, GFL/EVP und AL/GPB-DA/PdA hält der Gemeinderat fest, dass die Umsetzung aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei: Gemeinderat und Stadtrat könnten aufgrund von bundesrechtlichen Vorgaben keinen Einfluss auf die Anlagepolitik der Personalvorsorgekasse der Stadt Bern (PVK) nehmen. Namentlich begründet er dies mit Artikel 51a BVG, in welchem die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung festgelegt sind. Insbesondere sei gemäss Bst. m für die Festlegung der Ziele und der Grundsätze der Vermögensverwaltung im Fall der PVK die Verwaltungskommission allein zuständig – wie dies der Gemeinderat auch schon in einer früheren Antwort vom 26. Oktober 2016 auf eine Interfraktionelle Interpellation2 von SP und GFL/EVP dargelegt hatte. Aufgrund dieser Ausgangslage spricht der Gemeinderat dem Stadtrat die Zuständigkeit ab; im Falle einer Annahme käme der Motion nur der Charakter einer nicht bindenden Richtlinie zu.
Wie aus einer Aussage3 des zuständigen Finanzdirektors Michael Aebersold hervorgeht, hat der Gemeinderat diese Antwort geschrieben, ohne ein neues Rechtsgutachten4 der Rechtsanwälte Prof. U. Kieser und K. Saner zu kennen, welches im Frühling 2017 publiziert wurde. Diese kommen demgegenüber zum Schluss, dass eine Gemeinde oder ein Kanton im Bereich der Vermögensanlage in Ergänzung zum Bundesrecht sehr wohl gegenüber ihrer öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung weitergehende Vorschriften machen dürfe, solange die Anlagemöglichkeiten nicht in einer solchen Weise beschränkt werden, dass die bundesrechtlichen (Rahmen-)Vorgaben nicht mehr zu erfüllen wären. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Vorschriften eine ethisch-moralische Frage und nicht primär eine anlagetechnische Festlegung betreffen.
Im Weiteren konstruiert der Gemeinderat in den beiden besagten Antworten einen Unterschied zwischen «finanzieller Nachhaltigkeit» (welche angeblich in Artikel 71 BVG definiert sei) und «nicht-finanzieller Nachhaltigkeit» der Vermögensanlagen. Die Interpellantinnen und Interpellanten verstehen unter dem Begriff einer nachhaltigen Entwicklung jedoch die ganzheitliche Definition gemäss Brundtland-Bericht5, welche u.a. die ökologischen, die sozialen und die ökonomischen Aspekte der Nachhaltigkeit vereint. Unter dieser Prämisse vermag eine Vermögensanlage, welche die Kriterien Sicherheit und Risikodiversifikation, angemessenen Ertrag und Liquidität berücksichtigt, wohl die treuhänderische Pflicht der Pensionskasse gegenüber ihren Versicherten zu erfüllen; sie braucht hingegen noch keineswegs nachhaltig zu sein. Der Begriff der Nachhaltigkeit verkommt in einer solchen Verwendung zu einer leeren Worthülse.
Vor diesem Hintergrund wird der Gemeinderat um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

  1. Anerkennt der Gemeinderat die Schlussfolgerungen des Rechtsgutachtens Kieser/Saner? Falls nein: Warum nicht? Falls ja: Welche Konsequenzen hat dies in Bezug auf die Motion «Keine Rentengelder für die Kriegsmaterialproduktion!»?
  2. Wie kann die Verwaltungskommission der PVK generell bzw. insbesondere in Bezug auf die Einhaltung von ESG-Kriterien6 auf Forderungen des Stadtrats verpflichtet werden? Welche zusätzlichen Möglichkeiten hat der Gemeinderat via seinen Finanzdirektor, der kraft seines Amtes Präsident der Verwaltungskommission ist?
  3. Nach welchen Kriterien wählt der Gemeinderat die Arbeitgeber-Vertretenden der Verwaltungskommission der PVK? Nach welchen Kriterien werden die Mitglieder des Anlagekomitees der PVK gewählt?
  4. Was versteht der Gemeinderat unter den Begriffen «Nachhaltigkeit» bzw. «nachhaltige Entwicklung», insbesondere in Bezug auf die Vermögensanlagen der Personalvorsorgekasse?
  5. Wie lauten im Allgemeinen die aktuellen Aufträge der Vermögensverwaltung an die externen Verwaltungsmandate, insbesondere vor dem Hintergrund von Artikel 2 Absatz 4 des Personalvorsorgereglements7?
  6. Wie ist der auf die Anlagestrategie der PVK zugeschnittene Benchmark8 der Anlageperformance definiert? Wie häufig wird die Definition angepasst?
  7. Wie hoch werden die Vermögensverwaltungskosten9 beziffert, wenn eine breite Basis von Anlagestiftungen und Fondsanbietern mit einem genügend hohen Anlagevolumen kostengünstige, indexierte und passive Anlageprodukte anbieten würde, die den ESG-Kriterien und insbesondere dem CO2-Ausstoss entsprechend Rechnung tragen (wie dies im letzten Abschnitt der Antwort zu einer Interfraktionellen Interpellation10 von GB/JA! und GFL/EVP vom Gemeinderat umschrieben wird)?
  8. Werden die Mitarbeitenden der PVK, die Mitglieder der Verwaltungskommission und die Mitglieder des Anlagekomitees in Aspekten der nachhaltigen Entwicklung sowie der ESG-Kriterien ausgebildet? Falls nein: Warum nicht? Falls ja: Wer, durch wen, in welchem Umfang und wie?

Bern, 5. April 2018

1 2017.SR.000110: Interfraktionelle Motion GB/JA!, GFL/EVP, AL/GPB-DA/PdA (Eva Krattiger, JA! / Katharina Gallizzi, GB / Marcel Wüthrich, GFL / Matthias Stürmer, EVP / Daniel Egloff, PdA / Luzius Theiler, GPB-DA / Christa Ammann, AL / Tamara Funiciello, JUSO): Keine Rentengelder für die Kriegsmaterialproduktion! https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=84a57b56c21546aeb3ce2b72d7bd3146
2 2016.SR.000140: Interfraktionelle Interpellation SP, GFL/EVP (Peter Marbet, SP / Janine Wicki, GFL): Mit welchem Spielraum und mit welchen Konsequenzen lassen sich friedenspolitische Forderungen an die Anlagepolitik der PVK umsetzen? https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=1eaa658930ed4d82bf85a1692272b943
3 Bund vom 25. November 2017: https://www.derbund.ch/bern/kanton/Kanton-verkauft-Anteile-an-Atomwaffenfirmen/story/25872249
4 Prof. Ueli Kieser und Kaspar Saner: Vermögensanlage von Vorsorgeeinrichtungen – zur Zulässigkeit kommunaler und kantonaler Restriktionen. In: AJP/PJA 3/2017, S. 327ff. http://www.schadenanwaelte.ch/wp-content/uploads/2016/06/Swisslex_AJP-2017-S.-327.searchable.compressed.pdf
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltige_Entwicklung

6 Environment-Social-Governance-Kriterien
7 Der Absatz lautet: «Sie [die PVK] richtet ihr Handeln nach sozialen, ökologischen und ethischen Kriterien der Nachhaltigkeit aus.»
8 Vgl. Geschäftsbericht 2016, S. 43
9 insbesondere im Vergleich zu einer aktiven Bewirtschaftung, wie sie in der Antwort auf die Interpellation Marbet/Wicki (2016.SR.000140) gegeben wurde
10 2016.SR.000200: Interfraktionelle Interpellation GB/JA!, GFL/EVP (Katharina Gallizzi, GB / Marcel Wüthrich, GFL / Bettina Jans-Troxler, EVP): „Carbon Bubble“: Wie hoch ist das finanzielle Risiko für Bern durch Investitionen in fossile Energien? https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ac0f90a9bd39400ba5d32e8c6813b547