Motion AL, PdA, GFL/EVP, GB/JA!, SP, GLP (Christa Ammann, AL; Daniel Egloff, PdA; Janine Wicki, GFL; Leena Schmitter, GB/JA!; Lena Sorg, SP, Melanie Mettler, GLP; Bettina Jans-Troxler, EVP)

Gewalt in Partnerschaften stellt immer noch ein Tabu-Thema dar. Mehr als die Hälfte der Betroffenen spricht nicht darüber und auch die Nachbarschaft, Familie, Bekannte und Freunde schweigen oft aus Angst und Unsicherheit, obwohl sie etwas ahnen, hören, sehen, wissen.

Gewalt in Partnerschaften ist keine Privatsache. Das Konzept StoP (Stadtteile ohne Partnergewalt)

hat sich zum Ziel gesetzt, Gewaltbetroffene und soziale Netzwerke in Stadtteilen so zu sensibilisieren, dass Partnergewalt nicht mehr erduldet, verschwiegen, ignoriert oder toleriert wird.

Studien lassen die Schätzung zu, dass zwischen zehn und zwanzig Prozent der Frauen im Verlauf ihres Erwachsenenlebens körperliche und/oder sexualisierte Gewalt und rund 4 von 10 Frauen psychische Gewalt von ihrem (Ex-)Partner_innen erleben (EDI, 2008). Bei diesen Zahlen sind die betroffenen Kinder und die männlichen Betroffenen nicht miteingerechnet.

Im Kanton Bern sind 2015 insgesamt 954 Fälle mit Anzeige und/oder polizeilicher Intervention und 1318 Anzeigen im Bereich häuslicher Gewalt gemacht worden. Ein Drittel der Polizeieinsätze fanden in der Stadt Bern statt. In 56% der Fälle (362 Fälle) musste sich die Polizei zum wiederholten Mal mit denselben Personen befassen (Quelle).

Bei diesen Zahlen fehlen all diejenigen Fälle, bei denen die Polizei nicht involviert war*, da Betroffene oft aus Scham oder wegen fehlender Informationen keine Hilfe der Polizei anfordern. Wenn hier eine aufmerksame und informierte Nachbarschaft Hilfe anbietet, wenn das Thema Partnergewalt öffentlich angesprochen wird, können Gewalttaten verhindert werden.

In den letzten Jahren sind viele Massnahmen ergriffen worden, um Gewaltopfer zu unterstützen und die Situation zu verändern: Frauenhäuser, Öffentlichkeitskampagnen, Männerprojekte, Arbeit mit TäterInnen und die Anerkennung von häuslicher Gewalt als Offizialdelikt. Die Massnahmen richten sich in der Regel an Opfer, TäterInnen, Fachleute aus verschiedenen Bereichen oder an eine allgemeine Öffentlichkeit.

Bei den bisherigen Massnahmen wurde allerdings eine entscheidende Grösse sträflich vernachlässigt: das sozialräumliche Umfeld von Opfern und Tätern.

Handlungsstrategien müssen vermehrt dort ansetzen, wo die Gewalt stattfindet, also im unmittelbaren Lebensbereich der Menschen. An dieser Stelle existiert eine Lücke in Bezug auf den Schutz vor und den Abbau von häuslicher Gewalt. Die Förderung nachhaltiger Unterstützungsstrukturen im sozialen Umfeld ist zentral, damit die Betroffenen in ihrer Wohnung bleiben können und so insbesondere auch die Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden.

Viele Betroffene fühlen sich am bisherigen Wohnort ungeschützt bzw. sind real gefährdet, weil sie isoliert und allein auf sich gestellt sind, weil der gewalttätige Partner_innen sich möglicherweise nicht an die Wegweisung hält, weil er ihre und die Wege der Kinder kennt oder in der Nachbarschaft Verbündete hat.

Hier müssen zivilgesellschaftliche Mechanismen entwickelt werden, die den Betroffenen Schutz bieten. Menschen sollen und können weder von der Polizei noch von der Sozialen Arbeit rund um die Uhr bewacht bzw. unterstützt werden. Die Strafverfolgung und auch professionelle Hilfe sind Teil eines Ausnahmezustandes und nicht des Alltags / der alltäglichen Lebensbewältigung.

Aus diesen Gründen braucht es einen Handlungsansatz, der auf den Aufbau bzw. die Stabilisierung sozialer Kontakte und Netzwerke abzielt und diese insbesondere mittels Bildungsangeboten und Informationsanlässen dahingehend unterstützt, den Opfern Rückhalt zu geben, so dass diese ihre Rechte ausschöpfen. Ebenso ist im Projekt vorzusehen, dass Vorsichtsmassnahmen ergriffen werden, damit es nicht zu Denunziationen kommt. Nicht in Sinne des Projekts wären Massnahmen, die bürgerwehrähnlich sind.

Das Konzept von StoP (Stadtteile ohne Partnergewalt) von Prof. Dr. Sabine Stövesand, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg, setzt dort an und scheint deshalb als Grundlage geeignet, um diese Lücke auch in Bern zu schliessen (siehe auch www.stop- partnergewalt.org):

Der Gemeinderat wird aufgefordert,

1.      Die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um mit den Fachstellen in Bern (häusliche Gewalt / Quartierarbeit bzw. Gemeinwesenarbeit) ein Konzept für die Umsetzung eines solchen Projekts in einem oder mehreren Stadtteilen von Bern zu erstellen.

2.      Gestützt auf dieses Konzept ein Pilotprojekt in mehreren Stadtteilen zu realisieren und die Wirkungen zu evaluieren.

1. September 2016

 

* Die schweizerische Opferbefragung 2011 hat ergeben, dass nur 22% der Opfer die Polizei einschaltet. vgl. Killias, Martin et. al.: Häusliche Gewalt in der Schweiz, Analyse im Rahmen der schweizerischen Opferbefragung 2011, Zürich 2012, S. 18