Interfraktionelle Motion GB/ JA!, AL, PdA, GPB-DA (Katharina Gallizzi, GB/ Regula Bühlmann, GB / Seraina Patzen, JA! / Christa Ammann, AL / Rolf Zbinden, PdA / Luzius Theiler, GPB-DA)

Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services [GATS]) schafft die Grundlage für eine permanente Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs: Basisdienstleistungen, die für den sozialen Zusammenhalt wichtig sind und zu denen alle freien Zugang haben müssen, sind vom GATS betroffen: Gesundheit, Bildung, Energieversorgung, Luft, Wasser, Transporte, Öffentlicher Verkehr, Post, Telekommunikation, Kultur und Freizeit, Abfallwirtschaft, Alterspflege usw.

Das GATS gilt vom Bund über die Kantone bis zu den Gemeinden und ist für alle Verwaltungsebenen verpflichtend. Kantone und Gemeinden sind also direkt betroffen. Das Abkommen stellt das Subsidiaritätsprinzip in Frage, indem es namentlich die Möglichkeit der lokalen Behörden einschränkt, im Dienstleistungsbereich eine eigenständige Politik zu betreiben. Die zwingende Gleichbehandlung von lokalen und ausländischen Anbietern macht Regionalpolitik oder die Förderung von Nahversorgung unmöglich.

In Europa haben deshalb anfangs 21. Jahrhundert weit über 1000 Gemeinden in Grossbritannien, Frankreich, Österreich und Belgien Massnahmen zum GATS  ergriffen, in dem sie Anti-GATS-Motionen verabschiedeten, sich zu GATS-freien Zone erklärten oder Resolutionen verabschiedeten, die den Abbruch der GATS-Verhandlungen fordern. In der Schweiz haben sich mehr als 90 Gemeinden zur GATS-freien Gemeinde erklärt und somit ihre Besorgnis über die (sensible Bereiche betreffenden) GATS-Verhandlungen ausgedrückt. Auch in Bern wurde die Interfraktionelle Richtlinienmotion SP/JUSO, GB/JA!/GPB (Christof Berger/Ruedi Keller, SP/Annemarie Sancar-Flückiger, GB): Die Stadt Bern erklärt sich zur „GATS-freien Gemeinde“ am 22. April 2004 als Postulat erheblich erklärt.

Seit 2000 wird das GATS im Rahmen der DOHA Runde neu verhandelt – und weil DOHA stockt, steht auch GATS still. Nun haben sich die Staaten, die eine weitere Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes wünschen, unter Druck der mulitinationalen Unternehmen in der „Gruppe der sehr guten Freunde“ zusammengesetzt und verhandeln dort ein Abkommen in einer Koalition der Willigen, das TiSA (Trade in Services Agreement). TiSA ist wegen neuer Regeln demokratiepolitisch noch viel heikler als das GATS:

– Negativlisten: Gemäss TiSA muss jeder Vertragsstaat eine Liste der Dienstleistungen erstellen, die von der Marktöffnung ausgenommen werden sollen. Für alles, was auf der Liste fehlt, gilt zwingend Marktöffnung. Beim GATS galten noch Positivlisten: ein Staat musste aktiv deklarieren, was geöffnet werden soll. TiSA kehrt diese Logik um. Künftige Dienstleistungsarten, die wir heute nicht kennen und die deshalb auf der Negativ-Liste fehlen, wären zwingend der Marktöffnung unterstellt. Darunter fallen auch kommunale Strukturen der Stadt Bern wie EWB, Bernmobil, etc.

– Ratchet-Klausel: Gemäss TiSA-Abkommen darf eine einmal gemachte Marktöffnung nicht mehr zurückgenommen werden. Selbst wenn eine Marktöffnung völlig versagt hat, ist eine Rücknahme der Deregulierung auf immer ausgeschlossen. Zum Beispiel wäre die Rückführung der Stadtbauten in die Verwaltung nach Unterzeichnung des TiSA Abkommens nicht möglich gewesen.

– Standstill-Klausel: Gemäss TiSA-Abkommen darf die Regulierungsdichte, wie sie bei Unterzeichnung des Abkommens besteht, zukünftig nicht mehr erhöht werden.

– Future-proofing-Klausel: Gemäss TiSA-Abkommen sind sämtliche künftigen Dienstleistungen, die heute noch nicht erfunden sind, zwingend der Marktöffnung ausgeliefert. Ein heute noch nicht bekannter Energieträger würde demnach zwingend der Marktöffnung unterstehen und ein staatliches Monopol wie bei der wäre Elektrizität nicht möglich wäre.

Zusätzlich bereitet uns grosse Sorgen, dass TiSA völlig geheim verhandelt wird. Noch fünf Jahre nach dem Abschluss oder Scheitern der Verhandlungen sollen die Resultate absolut geheim bleiben. Die Bevölkerung bleibt also selbst bei einem Beitritt der Schweiz im Ungewissen, was genau entschieden wurde. Zusätzlich zu diesem demokratisch sehr fragwürdigen Vorgehen verhandelt der Bundesrat ohne korrektes Mandat. Er verhandelt TiSA im Rahmen des mehr als zehnjährigen DOHA-Mandats, obwohl TiSA ausserhalb der WTO verhandelt wird und nach neuen Spielregeln spielt. Der Bundesrat verhandelt also geheim, an der Bevölkerung vorbei, gegen den sozialen Frieden, gegen die demokratischen Regeln der Schweiz und gegen staatsrechtliche Grundsätze.

Wir fordern deshalb vom Gemeinderat, dass er die Stadt Bern im Sinne eines Signals zur TiSA-freien Zone erklärt, analog zu den weltweiten Massnahmen zu GATS anfangs des 21. Jahrhunderts.

Bern, 15. Januar 2014