Nora Joos JA!; Mirjam Arn GB

Die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen soll für alle Stimmbürger*innen möglichst einfach sein. Es gilt, so gut es geht, alle Hürden zu beseitigen. Dazu soll im Zeitalter der brieflichen Abstimmung in der Stadt Bern eine kostenlose Rücksendung der Abstimmungs- und Wahlcouverts möglich gemacht werden. In der Stadt Bern wählen und stimmen über 92% der Wählenden brieflich ab, nur knapp 8% gehen an die Urne. Die briefliche Stimmabgabe ist also ganz offensichtlich die bevorzugte Wählweise der Berner*innen.1 Aktuell übernimmt in zehn Kantonen die öffentliche Hand die Kosten für die Rücksendung, in sieben Kantonen verpflichten die Kantone ihre Stimmbürger*innen das Couvert selbst zu frankieren. In den restlichen Kantonen, zu welchen auch der Kanton Bern gehört, wird der Entscheid das Couvert vorzufrankieren den Gemeinden überlassen. Viele Gemeinden gehen als gutes Beispiel voran, beispielsweise kann in der Stadt Luzern seit diesem Jahr portofrei brieflich abgestimmt und gewählt werden. Auch die Gemeinde Herisau (AR) verschickt seit dem Herbst 2022 vorfrankierte Wahl- und Abstimmungscouverts.

In einer Studie der Universität Freiburg hat sich durch die Einführung von vorfrankierten Couverts die Stimmbeteiligung statistisch signifikant um 1.8 Prozentpunkte erhöht.2 Dabei stelle weniger der Preis einer einzelnen Briefmarke eine Hürde dar, sondern mehr der Zusatzaufwand, eine Briefmarke besorgen zu müssen.1,3 Dieser Effekt bestehe insbesondere in grossen Gemeinden, wo sich der Weg zur Urne oder zum Abstimmungsbriefkasten aufwändiger gestalte als in kleineren Gemeinden. Bei 84’600 Stimmberechtigten in der Gemeinde Bern und 4 Zustellungen pro Jahr würde das Vorfrankieren der Antwortumschläge à je 55 Rappen zu Kosten von etwa 186’000 Franken pro Kalenderjahr führen. Dieser Betrag käme der gesamten Bevölkerung gleichermassen zugute und wäre in Anbetracht des Beitrags zur politischen Mitsprache bescheiden und gerechtfertigt.

Das Argument, die briefliche Abstimmung weiche sowieso bald dem E-Voting, ist aktuell als sekundär zu bewerten. E-Voting steckt momentan noch in den Kinderschuhen und wird auch in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch nicht flächendeckend für alle Stimmberechtigten in der Schweiz eingeführt werden können. Aktuell können erst wenige im Ausland lebende Personen, welche in bestimmten Kantonen stimmberechtigt sind, elektronisch abstimmen. Dies wird sich wohl auch in den kommenden Jahren nicht abrupt ändern. Die briefliche Stimmabgabe wird somit auch zukünftig nicht an Bedeutung verlieren.

Jedes Wahlwochenende kommen mehr als hundert Briefe zu spät an, was mit vorfrankierten Couverts möglicherweise verhindert werden könnte. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Wahlbeteiligung mit steigendem steuerbarem Einkommen sowie mit steigendem steuerbarem Vermögen zu nimmt.1 Personen mit weniger Vermögen und Einkommen sind an Wahlen und Abstimmungen deutlich weniger aktiv beteiligt und sollen im politischen Prozess nicht benachteiligt sein. Eine Vereinfachung der brieflichen Abstimmung kann die Partizipation erhöhen und so die Demokratie stärken. 

Deshalb fordern wir den Gemeinderat auf, mit der Einführung von vorfrankierten Abstimmungs- und Wahlcouverts in der Gemeinde Bern die Teilnahme am demokratischen Prozess zu erleichtern.

1 Statistik Stadt Bern, Gemeindewahlen 2020

2 https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen-und-wahlen-bei-den-portokosten-herrscht-ein-kantonaler-flickenteppich

3 https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/abstimmen-per-post_eine-briemarke-macht-den-unterschied/43554882