Motion (Franziska Geiser GB, Seraphine Iseli GB)

Von 1931 bis 2002 arbeiteten mit dem sogenannten Saisonnierstatut Menschen in der Schweiz, die jeweils nur über eine neunmonatige Aufenthaltsbewilligung verfügten und dann drei Monate ausserhalb der Schweiz leben mussten.[1] Das Saisonnierstatut erlaubte keinen Stellenwechsel, die Wohnverhältnisse und Arbeitsplätze waren prekär und der Familiennachzug war stark eingeschränkt: Die Kinder der Saisonniers durften nicht in der Schweiz leben. Viele wurden bei Verwandten zurückgelassen, viele lebten aber auch versteckt in der Schweiz.

Eine versteckte Existenz bedeutete für die betroffenen Familien ein Leben in Angst. Angst davor, sich beim Spielen zu verletzen, Angst, von den Nachbarn verraten zu werden und Angst, wenn jemand an der Türe klingelt. Auch waren die betroffenen Kinder von der Schule ausgeschlossen.

Das Phänomen der versteckten Kinder als Folge des Saisoniersstatuts wird erst seit kurzem als Teil der Schweizer Migrationsgeschichte anerkannt und erst zögerlich aufgearbeitet. In den letzten Jahren haben Publikationen, Veranstaltungen[2] Ausstellungen[3] und Podcasts dazu beigetragen, Direktbetroffene zu Wort kommen zu lassen. 2021 wurde der Verein Tesoro gegründet mit dem Zweck, die Interessen der Familienmitglieder zu vertreten, die vom Schweizer Saisonnierstatut betroffen waren.[4] Der Kanton Basel-Stadt hat als erster Kanton beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, welche das Ausmass der Auswirkungen auf die Familienpolitik zeigt.

Auch in der Stadt Bern haben Saisonniers gelebt und mit grosser Wahrscheinlichkeit hat es auch in der Stadt Bern Kinder gegeben, die keine Schule besuchen, kaum draussen spielen und keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern pflegen durften und ein Leben in Angst geführt haben. Über die Lebensrealitäten dieser Berner Kinder ist aber sehr wenig bekannt, was die Motionär*innen ändern möchten. Die Geschichte des Saisonnierstatuts und die Auswirkungen auf die versteckt lebenden Kinder in der Stadt Bern sollen aufgearbeitet werden. In einem zweiten Schritt sollen Massnahmen ergriffen werden, damit Betroffenen eine Stimme gegeben werden kann und dieses Stück Berner Migrationsgeschichte öffentlich wirksam aufgearbeitet wird (zb. durch Ausstellungen, Vermittlung an Schulen, Zeitzeug*innen-Programme, etc.)

Deshalb fordern wir vom Gemeinderat:

  1. Ein Projekt zur historischen Aufarbeitung der Geschichte versteckter Kinder in der Stadt Bern zu lancieren, bei dem Betroffene einbezogen werden.
  2. Eine Studie in Auftrag zu geben, welche die Geschichte der so genannten Gastarbeiterfamilien und ihrer Kinder in Bern aufarbeitet.
  3. Massnahmen zu entwickeln, die erreichen, dass das Thema für eine breite Öffentlichkeit aufbereitet wird, damit die Bevölkerung über diesen Aspekt der Migrationsgeschichte aufgeklärt wird.

Bern, 12.09.2024

[1] Saisonniers im Historischen Lexikon der Schweiz: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025738/2012-10-04/ (Stand: 29.08.2024).

[2] Zb. Versteckte Täter*innen – Angriff auf Familien, 17.10.2023, https://widerspruch.ch/veranstaltung/versteckte-taeterinnen-angriff-auf-familien-2 (Stand: 29.08.2024).

[3] Zb. “Wir, die Saisonniers…»: https://www.nmbiel.ch/ausstellungen/saisonniers (Stand: 29.08.2024).

[4] Tesoro: https://www.tesoro2021.ch/verein/ueberuns (Stand: 29.08.2024).