SP/JUSO, GB/JA! (Sofia Fisch, JUSO; Lea Bill, GB)

Ende 2022 rief die Stadt Bern in einer Medienmitteilung die Bevölkerung dazu auf, bettelnden Personen kein Geld zu geben. Der Aufruf wurde zudem via Twitter verbreitet. Als Grund wurde angegeben, dass es sich mehrheitlich um Bettler*innen aus Osteuropa handle, welche Angehörige und/oder Opfer von organisierten Bettelbanden seien.

Dieser Aufruf, gerade von öffentlicher Stelle, ist aus verschiedenen Gründen problematisch:

1. Betteln ist ein Menschenrecht1 und in der Stadt Bern grundsätzlich erlaubt.
2. Die wiederholte Erzählung von organisierten Bettelbanden ist nicht belegt und somit stigmatisierend.2 Denn in dem Aufruf der Stadt Bern werden bettelnde Personen osteuropäischer Herkunft prinzipiell verdächtigt, einer kriminellen Organisation anzugehören.
3. Der Aufruf ist höchst problematisch für Bettler*innen, die auf das gespendete Geld angewiesen sind. Denn wie soll die Bevölkerung erkennen, welche Bettler*innen der im Aufruf beschriebenen Gruppe entsprechen und welche nicht?

Statt sich rassistischen Erklärungsmustern hinzugeben, muss die Stadt Bern der Stigmatisierung von Bettler*innen und allgemein von armutsbetroffenen Personen entschieden entgegenwirken. Dabei muss sie sich auf fundierte Analysen stützen.

Und hier gibt es eine Lücke: Zwar wurde das Ausmass und die Struktur von Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekärer Wohnversorgung und der politische Umgang damit in den letzten Jahren in mehreren Studien thematisiert.3 Bisher hat aber nur eine Studie explizit die Lebensumstände von Bettler*innen ins Zentrum gestellt.4

Der Gemeinderat wird deshalb beauftragt:

1. eine Studie in Auftrag zu geben, in der zu untersuchen ist, in welchen Lebensumständen sich bettelnde Personen in der Stadt Bern tatsächlich befinden. Und inwiefern Menschenhandel hier eine Rolle spielt. Dabei soll die Quantität, Qualität und Dynamik der Thematik erforscht werden.
2. Im Rahmen der Studie soll die Wirksamkeit und Zugänglichkeit der bestehenden Angebote der Stadt Bern, die von Bettler*innen genutzt werden können, geprüft werden.
3. Mithilfe der Studie Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, welche die Sicherstellung und Verbesserung der Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Leben in der Stadt Bern bewirken.

 

1 https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-207377%22]}
2 https://bajour.ch/a/tGDrvhUnMmLZAg0L/bajour-sucht-den-bettelboss
3 https://www.centre-lives.ch/sites/default/files/2022-
03/93_2022%20Forschungsbericht_OBDACH_Dittmann_Dietrich_Stroezel_Drilling%20-%20formatted.pdf
https://irf.fhnw.ch/bitstream/handle/11654/30562/Obdachlosigkeit%2c%20Wohnungslosigkeit%20und%20Pr%c3
%a4keres%20Wohnen.pdf
https://www.bwo.admin.ch/bwo/de/home/wie-wir-wohnen/wohnen-und-armut/publikationenbwo/obdachlosigkeit.html
4 https://www.srf.ch/news/schweiz/betteln-in-basel-bettlerinnen-und-bettler-uebernachten-im-ausland