«Verkehrsintensive Vorhaben» – oft Einkaufszentren und Stadien – geniessen in der kantonalen Raumplanung einen besonderen Stellenwert. Für sie werden insbesondere Fahrtenkontingente ausgehandelt, die im Richtplan festgeschrieben werden. Werden die Kontingente nicht eingehal-ten, so können den Betreibern Auflagen gemacht werden, um die Fahrtenzahlen zu senken. Für die Umsetzung der Massnahmen sind die Gemeinden zuständig. Es gibt immer wieder Beispiele, in denen zu diesem Mittel gegriffen wurde und Betreiber einen ganzen Strauss von Massnahmen ergriffen haben, damit Besucherinnen nicht mit dem Auto die Zentren aufsuchen und der öV- und Fussgänger*innen-Anteil steigt. Zuletzt geschehen im Westside in den Jahren vor 2019. Leider haben diese Massnahmen nicht die gewünschte Wirkung entfaltet und die Kontingente konnten seit der Eröffnung 2008, mit Ausnahme von 2009, nie eingehalten werden. Dies entsprach bisher einem nicht-richtplankonformen und nicht-rechtmässigen Zustand.

Nun haben die Betreiber*innen des Westside beim Kanton eine Änderung am Richtplan erwirkt, in der die weitaus höhere Fahrtenzahl nachträglich genehmigt wurde. Das Bauinspektorat der Stadt Bern muss diese Änderung bewilligen, was gemäss Auskunft nur eine Formsache sei. Der Kanton hat mithin während mehreren Jahren einen rechtswidrigen Zustand geduldet und ist den Betrei-bern*innen danach entgegenkommen, da sie «glaubhaft versichert haben, alles in ihrer Machtste-hende unternommen zu haben, um die Fahrtenzahl zu senken.»

Das Beispiel Westside ist ein Behördenversagen. Durch die vielseitige Kompetenzverteilung kön-nen Verantwortungen hin- und hergeschoben werden. Verantwortungen in einem Bereich, in dem wir uns Behördenversagen nicht mehr länger leisten können. Die Stadt Bern genehmigt keines-wegs einfach eine Baubewilligung, sondern ist im Gegenteil ein sehr wichtiger und starker Player, wenn es darum geht, mit den Betreiber*innen von «Verkehrsintensiven Vorhaben» bei Fahrten-überschreitungen zu verhandeln. Je nach Gemeinde bestimmen unterschiedlich zusammengesetz-te Gremien über die zu treffenden Massnahmen und die Beurteilung des Massnahmenerfolgs. Dies sind relevante Kompetenzen und relevante Entscheide in äusserst delikaten Fragen. Die Antworten des Gemeinderats auf die Dringliche Motion Keine Buebetrickli bei den verkehrsintensiven Vorha-ben (ViV) – gegen eine Erhöhung der Fahrtenzahl für das Einkaufszentrum Westside, die am 31. Januar 2019 vom Stadtrat überwiesen wurde, zeigt: Der Gemeinderat ist sich seiner Verantwortung und mehr noch: seines Spielraums zu wenig bewusst. Die Beschränkung von Parkplätzen, die Modalsplitverschiebung und damit die Einhaltung von Fahrtenkontingenten sind zwingend, damit wir die Treibhausgasemissionen im Verkehr in den nächsten Jahren deutlich senken können1, wie es das Klimareglement vorsieht. Damit die städtischen Klimaziele erreicht werden können, benöti-gen wir eine Aufwertung des Fahrtencontrollings und der dafür zuständigen Gremien und bei Bau-vorhaben ein stärkerer Fokus auf das Parkplatzangebot statt auf die viel schwieriger zu steuernden Fahrten, wenn die Anlagen einmal gebaut sind.

Der Gemeinderat wird deshalb aufgefordert, folgende Fragen zu beantworten:

  • Wie lässt sich das derzeit bestehende Fahrtencontrolling weiterentwickeln?
  • Welche Lehren zieht der Gemeinderat aus dem Fall Westside für das Instrument des Fahrten-controllings?
  • Wo sieht der Gemeinderat Stärken und Schwächen in der derzeitigen Ausgestaltung des Fahrtencontrollings?
  • Welche Gedanken macht sich der Gemeinderat, um das Instrument des Fahrtencontrollings in Einklang mit Klimamassnahmen zu bringen?
  • Gibt es aus Sicht des Gemeinderats heute effizientere Steuerungsmöglichkeiten bei verkehrsin-tensiven Vorhaben als das Fahrtencontrolling? Welche sind das? Falls nicht: Gibt es Möglich-keiten, effizientere Steuerungsmöglichkeiten zu suchen?

Bern, 16. Dezember 2021
Erstunterzeichnende: Katharina Gallizzi, Michael Ruefer
Mitunterzeichnende: Anna Leissing, Rahel Ruch, Ursina Anderegg, Jelena Filipovic, Seraphine Iseli, Franziska Geiser, Regula Bühlmann, Lea Bill, Anna Jegher, Nora Joos, Eva Krattiger, Janina Aeberhard, Remo Sägesser, Marianne Schild, Gabriela Blatter, Judith Schenk

 

1 Von 2025 bis 2035 sollen die C02-Emissionen des Verkehrs um 70% gesenkt werden.