Interfraktionelle Interpellation (Manuel C. Widmer, GFL/EVP/Melanie Mettler, GLP/ Lea Kusano, SP/Leena Schmitter, GB/JA!) 

Während Männer auf Sekundar- und der prestigeträchtigeren Gymnasialstufe wie auch in der Hochschule übervertreten sind, werden die lohn- und statustieferen Stufen (Kindergarten und Primarstufe) mehrheitlich von Frauen unterrichtet. In den letzten 30 Jahren ist ein massiver Rückgang der männlichen Lehrpersonen in der Unter- und Mittelstufe zu beobachten. So betrug der Anteil der Lehrer in der Primarschule laut dem Bundesamt für Statistik BfS im Schuljahr 2007/08 20,3%, im vorschulischen Bereich gar nur 4% (siehe Statistik unten). Dieser Anteil sinkt tendenziell, je jünger die zu unterrichtenden Kinder sind.

Das heisst: Zu wenig Männer auf der Vorschul- und Primarstufe, zu wenig Frauen auf der Sekundar- und Hochschulstufe.
Der Anteil der Lehrer und Lehrerinnen nach Geschlecht 2010/11 :

Männer        Frauen
Vorschule                                         3.9%            96.1%
Primarstufe                                      18.9%           81.1 %
Sek I                                               47%             53 %
Sek II (allgemeinbildende Schulen)     56.8%            43.2%
Sek III (berufl. Grundbildung)            61.6 %           38.4 %

ProfessorInnen:                                82.4%            17.6%
DozentInnen                                     74.1%            25.9%
Buben wie Mädchen brauchen keine männliche oder weibliche Schule, sondern eine geschlechterbalancierte Schule. Sowohl für Knaben wie auch für Mädchen ist es wichtig, eine möglichst breite Palette gelebter Geschlechterbilder beobachten, nachahmen und reflektieren zu können. Diesen Vorbildern begegnen die Kinder nicht nur zu Hause, in ihrer Nachbar- und Verwandtschaft, sondern ab dem 5. Lebensjahr primär in der Schule bzw. im Kindergarten.

Schulische Kinderarbeit kann selbstverständlich von Männern und Frauen gemacht werden; doch können Männer dabei eine wichtige Rolle spielen. Das verbreitete Vorurteil, dass Männer für die häusliche Erziehungsarbeit und die berufliche Arbeit mit jüngeren Kindern nicht geeignet, und Frauen in den oberen Stufen eine Ausnahmeerscheinung seien, wird in der Entwicklung zur Geschlechtertrennung im Lehrkörper verstärkt und weitergelebt. Dieser Entwicklung soll konstruktiv entgegengetreten werden. Die Begegnung mit Erwachsenen beiden Geschlechts im Alltag ist nicht nur für Kinder von grosser Wichtigkeit. So wie den Buben Männlichkeitsbilder in der Unterstufe und im Kindergarten fehlen, so fehlen männlichen werdenden Lehrpersonen die männlichen Vorbilder in diesen Berufen. Jungen wie Mädchen sollen vielfältige Geschlechterbilder vorgelebt werden, die weniger die Defizite, sondern die Ressourcen ins Zentrum stellen. Ein Lehrkollegium mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis auf allen Stufen ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Buben wie Mädchen sollen auf allen Stufen echte und vielfältige Geschlechterbilder vorgelebt bekommen.

Ein Ziel des Aktionsplans zu Gleichstellung von Frauen und Männern der Stadt Bern lautet: „Die Stadt Bern unterstützt Jugendliche beim Entwickeln von eigenständigen Lebensentwürfen, die nicht durch geschlechtsspezifische Rollenmuster eingeschränkt werden“. Ausserdem muss die Geschlechterperspektive – so definiert im Aktionsplan –  in relevanten Bereichen der Bildungsstrategie 2008-2011 konsequent einbezogen werden (Massnahme 19). Es gilt, diese Ziele zu verwirklichen und Massnahmen durchzusetzen.

Die Aufwertung und dadurch die Erhöhung der männlichen Beteiligung an der Kindererziehung ist eines der Kernziele der Gleichstellung. Wenn diese Berufe nicht mehr als Frauenberufe abgestempelt werden können, wird erfahrungsgemäss der Status und der Lohn längerfristig erhöht (Beispiel: Krankenpflege).

Die Abwertung von Frauen und die Ablehnung von Massnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter ist teilweise eine Ausdrucksform einer tief eingeschriebenen Verunsicherung hinsichtlich der eigenen geschlechtlichen Identität. Eine möglichst grosse Vielfalt von Männlichkeiten, die in sozialen Situationen beobachtet und abgewogen werden können, geben Knaben und Mädchen die Möglichkeit, eigene Verhaltensweisen zu sehen und auszutesten, die den vorherrschenden Vorstellungen nicht entsprechen. Dies wiederum wirkt sich aus auf ihre Beziehungen – und damit sehr direkt auf die Praxis der Gleichstellung der Geschlechter.

Der Gemeinderat wird gebeten, folgende Fragen zu beantworten:

1.) In welchem Rahmen hat sich die Stadt Bern mit diesen Themen beschäftigt? Mit welchen Ergebnissen?
2a) Hat die Stadt Bern bereits Massnahmen angedacht und/oder ergriffen, um aktiv männliche Lehrpersonen auf der Unter-/Mittelstufe zu fördern?
2b) Wenn ja, wurden diese in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ergriffen (Schulleitungen, Schulkommissionen, andere Gemeinwesen/NGOs, Kantonale Stellenberatung, LehrerInnen-Ausbildungsstätten, Städt. Büro für Gleichstellung, Austausch mit Berner Bildungszentrum Pflege, etc.) In welcher Form und mit welchen Resultaten?
2c) Was ist der Stand der Umsetzung der Massnahmen 13 und 19 des Aktionsplans zur Gleichstellung von Frauen und Männern?
2d) Falls die Stadt bis heute nicht aktiv wurde, stellt sich die Frage, ob der Gemeinderat bereit ist, das Thema aktiv anzugehen und auf eine langfristige, nachhaltige Steigerung des Anteils männlicher Lehrkräfte auf der Mittel- und Unterstufe und des weiblichen Anteils auf der Oberstufe und in Leitungsfunktionen der städtischen Schulen im Rahmen ei-nes Programms und in Zusammenarbeit mit Fachstellen hinzuarbeiten.
4) Wie und wo hat die Stadt Bern bei den Anstellungsbedingungen von Lehrpersonen Gestaltungs- und Steuerungsspielraum?

Bern, 25.4.13