Anfang Juli hat der Kanton Bern die Vernehmlassung über die Totalrevision des Sozialhilfegesetzes eröffnet. Die Gesundheits- und Sozialdirektion von SVP-Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg verspricht, dass in dieser Revision der Mensch im Zentrum stehe. Wo sich das konkret niederschlägt, bleibt leider rätselhaft. Wir Grünen werden uns für eine echte Stärkung der Sozialhilfe einsetzen.

Mit dem Argument, die Arbeitsanreize verbessern zu wollen, versuchte Regierungsrat Schnegg 2019 den Grundbedarf der Sozialhilfe massiv zu senken. In einer Referendumsabstimmung hat die Stimmbevölkerung des Kantons Bern diese Revision am 19. Mai 2019 mit 56% Nein-Stimmen deutlich abgelehnt. Damit konnten gravierende Kürzungen für die Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, verhindert werden. 

Verheerende «Anreize» für Sozialdienste

Mit dem gleichen scheinheiligen Argument (“Verbesserung der Anreize”) will der Kanton nun in einem anderen Bereich die Daumenschrauben anziehen: Mit einem Selbstbehalt für die Gemeinden sollen finanziell effiziente Sozialdienste belohnt und weniger effiziente bestraft werden. Ein solches System geht von der Vorstellung aus, dass die Gemeinden mit diesem «Anreiz» die individuelle Sozialhilfe so weit wie möglich kürzen und damit schneller für die Wiedereingliederung ihrer Klient*innen sorgen würden. In der Fachwelt ist man sich einig, dass diese Annahme nicht zutrifft: Tiefere Leistungen für die Bezüger*innen von Sozialhilfe erschweren die berufliche und soziale Integration und bewirken keine raschere Ablösung von der Sozialhilfe. Das Gleiche gilt auch für die Sozialdienste selber: Pilotprojekte haben gezeigt, dass mehr Ressourcen in den Sozialdiensten dazu führen, dass Klient*innen dank mehr Zeit für Beratung und Vernetzung rascher integriert werden und nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sind. Damit würde der vorgeschlagene Selbstbehalt genau die falschen Anreize setzen. Er könnte zwar zu kurzfristigen Kostensenkungen führen, die aber langfristig negative Folgen haben. Diese sogenannten Anreize erreichen genau das Gegenteil von dem, was sie versprechen. Zudem sind die von den Sozialdiensten effektiv beeinflussbaren Kosten sehr klein, womit der riesige administrative Aufwand für die Berechnung des Selbstbehalts sowieso nicht zu rechtfertigen ist.

Intransparenter Prozess und weitere Kürzungen

Einmal mehr zeigt sich in dieser Vorlage der Stil von Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg, seine Vorstellungen ohne Einbezug der Fachwelt einfach von oben durchzudrücken: Die Revision wurde von der zuständigen Direktion weitgehend hinter verschlossenen Türen in einem intransparenten Prozess erarbeitet. Zudem enthält die Vorlage noch andere inhaltlich problematische Änderungen: So soll beispielsweise der Grundbedarf abhängig vom Sprachniveau gekürzt werden können. Und die Menschen sollen über einen längeren Zeitraum verpflichtet sein, früher bezogene Sozialhilfe zurückzuzahlen. Die Grünen werden sich in der Vernehmlassung und in der späteren parlamentarischen Beratung für eine starke Sozialhilfe einsetzen, die tatsächlich die Menschen ins Zentrum stellt und diese Aussage nicht zu einer hohlen Phrase verkommen lässt. Dass sich das lohnt, zeigt die Vergangenheit: Aufgrund eines Vorstosses des ehemaligen Grünen Grossrats Hasim Sancar wurde die seit Langem dringend erforderliche Erhöhung des Grundbedarfs letztes Jahr endlich vorgenommen. Der Regierungsrat hat den Grundbedarf aufgrund der starken Teuerung dem von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS empfohlenen Niveau zur Existenzsicherung immerhin angenähert.

Seraina Patzen, GB-Grossrätin