grünlinks: Ursina Anderegg, das Personalreglement stammt aus den 90er Jahren und wurde nun nach 30 Jahren einer grösseren Revision unterzogen. War dies überfällig?

Ursina Anderegg: Tatsächlich war es Zeit, dass das Personalreglement der Stadt Bern überarbeitet wird. Die Anpassungen gehen auf zahlreiche personalpolitische Vorstösse des Stadtrats und auf Forderungen der Gewerkschaften und des Personalverbands zurück.

Die vorliegende Revision bringt Verbesserungen bei den Anstellungsbedingungen und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So wird etwa der Vaterschaftsurlaub von vier auf acht Wochen ausgebaut und eine zusätzliche Elternzeit von sechs Wochen eingeführt. Ausserdem haben Schwangere zukünftig Anspruch auf drei Wochen bezahlten vorgeburtlichen Urlaub. Das neue Personalreglement ist ein grosser Fortschritt in der städtischen Gleichstellungspolitik und hat Vorbildcharakter.

grünlinks: Das Referendumskomitee spricht von «unnötigem Luxus» und warnt vor Mehrkosten und Steuererhöhungen

Ursina Anderegg: Die Argumente der Gegnerschaft sind polemisch. Die Verbesserungen belasten das jährliche Budget mit 300’000 Franken. Die letzte Jahresrechnung der Stadt hat mit einem Überschuss von 14,8 Millionen Franken abgeschlossen und damit knapp 70 Millionen besser als budgetiert. Angesichts dieser Zahlen dürfte allen klar sein, dass sich die Stadt diese Mehrausgaben leisten kann und muss.

Die Vorlage ist vor allem auch deshalb fast kostenneutral, weil die Treueprämien der Angestellten abgebaut und neu nur noch alle zehn statt alle fünf Jahre ausgerichtet werden. Dies hat Einsparungen von einer Million Franken zur Folge. Diese Kröte haben wir und das Personal im Gegenzug zu den Verbesserungen geschluckt.

grünlinks: Gerade die Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollten die städtische FDP oder GLP doch unterstützen?

Ursina Anderegg: Die GLP verhält sich wieder einmal widersprüchlich: Während sie schweizweit auf allen Kanälen die Vereinbarkeit propagiert, bekämpft sie in der Stadt ein zeitgemässes und progressives Personalreglement. 

Die Bekämpfung dieser Vorlage ist der bürgerlichen Sparpolitik geschuldet. Die Bürgerlichen zeichnen bewusst ein polemisches Bild von vergoldeten Beamt*innen. Sie stellen z.B. die neue Regelung beim Teuerungsausgleich in den Fokus. Aber die neue Regelung unterscheidet sich kaum von der aktuellen. Neu ist lediglich, dass das Personal auch Anspruch auf einen Ausgleich hat, wenn die Teuerung weniger als 1 Prozent beträgt. Es sind keine «Privilegien» – wie von der Gegnerschaft suggeriert – sondern Selbstverständlichkeiten für Menschen, die die Stadt am Laufen halten.

grünlinks: Welche Änderungen gibt es neben den gleichstellungspolitischen Errungenschaften?

Ursina Anderegg: Das Mitwirkungsrecht der Sozialpartner*innen wird gestärkt, der Mindestlohn auf 4’000 Franken erhöht und ein Anspruch auf Wiedereingliederung für verunfallte oder erkrankte Mitarbeitende geschaffen. Neu ist auch, dass alle Mitarbeitenden der Stadt eine öffentlich-rechtliche Anstellung erhalten – auch Personen im Stundenlohn oder mit befristeter Anstellung. Das ist ein grosser sozialpolitischer Durchbruch, vor allem für Frauen, die in den tiefsten Lohngruppen arbeiten.

grünlinks: Abschliessend kurz zusammengefasst, wieso sollten die Steuerzahler*innen der Stadt Bern am 18. Juni 2023 Ja stimmen?

Ursina Anderegg: Wenn ich zum Beispiel mit Kita-Mitarbeiter*innen spreche, dann wird sehr deutlich, wie stark sie unter Druck stehen und trotz wenig Personal einen riesigen «Bügel» machen. Ich denke, wir alle wollen, dass die Menschen, die täglich für uns arbeiten, gerechte und zeitgemässe Arbeitsbedingungen haben. Wir haben nun die Möglichkeit, das mit dem städtischen Personal umzusetzen, und wir können hier als Stadt vorangehen!

 

Interview: Stefan Dietiker, Redaktion grünlinks