© Foto von Brigitte Marti

Ist die Höhe von Löhnen einzig die Sache einer Abmachung zwischen dem Arbeitgeber und den Beschäftigten? Ist sie Sache der Sozialpartnerschaft, sprich von Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern? Oder braucht es zur Bekämpfung von beschämend tiefen Löhnen auch politische Eingriffe? 

In der Schweiz haben bereits mehrere Grenzkantone in der West- und der Südschweiz Mindestlöhne eingeführt, und am 1. Juli 2022 folgte der Kanton Basel-Stadt als erster Deutschschweizer Kanton. So sind die Arbeitgeber in Genf verpflichtet, einen Stundenlohn von mindestens 23 Franken zu bezahlen, im Kanton Neuenburg sind es 21 Franken. In Basel-Stadt wurde der Mindestlohn von 2023 der Teuerung angepasst und von 21 Franken auf 21.45 Franken erhöht. Mindestlöhne legen eine gesetzliche Lohnuntergrenze fest und verhindern Löhne, die für einen anständigen Lebensunterhalt nicht genügen. Das schützt vor allem Beschäftigte in typischen Tieflohnbranchen wie der Reinigung, der Gastronomie und dem Detailhandel. Ausserdem nützen sie vor allem den vielen Frauen, die in diesen Bereichen arbeiten, wie Véronique Polito von der Gewerkschaft Unia an einer Diskussionsveranstaltung des GB ausführte.

Die Erfahrungen zeigen, dass die gesetzliche Reglementierung von Löhnen hitzige Diskussionen auslöst. In Zürich und Winterthur wird am 18. Juni an der Urne darüber abgestimmt. An der GB-Veranstaltung sagte der Zürcher Mitinitiant Oliver Heimgartner von der SP: «Der Abstimmungskampf wird ausgesprochen emotional geführt, und es gibt heftigen Gegenwind von Bürgerlichen und Arbeitgebern.» 

Eine gute Vorlage zu erarbeiten, ist herausfordernd. Zwar hat das Bundesgericht in einem Urteil bestätigt, dass Kantone und Gemeinden gesetzliche Mindestlöhne vorschreiben dürfen. Aber sie dürfen nicht arbeitsrechtlich begründet sein, sondern müssen eine sozialpolitische Wirkung haben. Das hat etwa zur Folge, dass die Höhe des Mindestlohns nicht einfach festzulegen ist. 

GRÜNE Nationalrätin Natalie Imboden an der GB-Veranstaltung im April 2023. © Foto von Brigitte Marti

In der Stadt Bern will das GB die Frage der Mindestlöhne auf die politische Agenda setzen. Zu den Gründen sagt Ursina Anderegg, Co-Präsidentin des GB: «Es ist skandalös, dass in der Schweiz die Armut wächst, während Bund und Kantone seit Jahren Sozialabbau betreiben. Es ist auch an den Gemeinden und Städten, in dieser Frage Verantwortung zu übernehmen.» Als Nächstes will das GB eine Vorlage ausarbeiten, die sich stark an die Initiativen in Zürich anlehnt. In Zürich sind Gutachten erstellt worden, welche die Zulässigkeit von Massnahmen auf Gemeindeebene feststellen. Wie in Zürich können auch im Kanton Bern die Gemeinden Aufgaben zur Verhinderung von Sozialhilfeabhängigkeit übernehmen. Die Resultate der Gutachten aus Zürich sind also auch auf Bern übertragbar. Ursina Anderegg ist optimistisch, dass sich aufgrund der linken Mehrheitsverhältnisse in Bern eine gute Lösung über den parlamentarischen Weg finden lässt. «Wir suchen momentan mit Bündnispartner*innen den formal schnellsten und politisch sinnvollsten Weg», sagt Anderegg zum weiteren Vorgehen.

 

Bettina Dauwalder, Redaktion grünlinks

Umstritten auf nationaler Ebene

Die Einführung von Mindestlöhnen in verschiedenen Kantonen und die Bestätigung durch das Bundesgericht hat bürgerliche Politiker*innen im nationalen Parlament in Aufruhr gebracht. Mitte-Politiker und Ständerat Erich Ettlin reichte eine Motion ein, die die Rechte von Kantonen und Gemeinden beschneiden will. Ständerat und Nationalrat haben der Motion zugestimmt, sodass jetzt der Bundesrat eine Gesetzesrevision ausarbeiten muss. Natalie Imboden, Nationalrätin der GRÜNEN Bern und GB-Mitglied, verfolgt diese Diskussion und sagt dazu: «Besonders stossend ist, dass die Kompetenz der Kantone zur Festlegung von Mindestlöhnen geschwächt werden soll. Dies widerspricht dem Föderalismus, aber auch dem sozialpolitischen Auftrag, den die Kantone und Gemeinden haben. Die Folgen wären tiefere Löhne. Dagegen wehren wir GRÜNEN uns.»