
«Investitionen von heute ersparen Kosten von morgen»
In der letzten Legislatur wurden in der Stadt Bern grosse Sparpakete auf Kosten der Bevölkerung und des Klimas geschnürt. Ursina Anderegg stellt sich seit Jahren gegen die bürgerliche Mär der «tiefroten Zahlen». Sie hat einiges vor für die Weiterentwicklung des solidarischen und grünen Berns. Zeit für ein letztes Interview vor den Wahlen.
grünlinks: Ursina, du hast über 40 Organisationen und Vereine besucht, ihnen zugehört und daraus ein Wahlprogramm erstellt. Du hast zudem an zahlreichen Podien und Aktionen teilgenommen. Was sind deine wichtigsten Erkenntnisse aus deinen Gesprächen und Treffen; wo drückt der Schuh am meisten?
Ursina Anderegg: Ein Riesenthema sind die allgemeine Teuerung und die steigenden Mieten in der Stadt. Zentral scheint zudem ein vehementeres Vorgehen der Stadt gegen die Klimakrise. Viele möchten sich in diesem Bereich stärker engagieren, bräuchten aber bessere Rahmenbedingungen. Gerade hier sind viele spannende, neue Ideen aufgekommen. So der Bedarf von Kulturhäusern nach finanzieller Unterstützung für nachhaltige Investitionen: Das Schlachthaus Theater etwa will schon lange vollständig auf energiesparende LED-Scheinwerfer umstellen, was bisher am fehlenden Geld scheiterte.
grünlinks: Damit wären wir beim lieben Geld angekommen. In der Stadt Bern heisst es immer, dass es davon zu wenig hat. Wie siehst du das?
Ursina Anderegg: Die bürgerliche Erzählung von vermeintlich «tiefroten Zahlen» wird durch die Medien unhinterfragt übernommen. Das ist ärgerlich und entspricht nicht den Tatsachen. Selbstverständlich muss die Stadt über einen finanziellen Spielraum verfügen und dafür sorgen, dass dieser erhalten bleibt. Wenn wir die Fakten betrachten, sehen wir aber, dass dies der Fall ist: Die städtischen Reserven wurden in den letzten Jahren auf mittlerweile 107 Mio. ausgebaut, wir nehmen momentan so viele Steuern ein wie noch nie. Zudem verfügen wir über gefüllte Töpfe für Schulhäuser und Sportanlagen.
grünlinks: Muss die Stadt also vom Sparen wegkommen?
Ursina Anderegg: Ja. Seit 2019 wurde befürchtet, dass die Steuereinnahmen einbrechen. Passiert ist das nicht. Dennoch wurden aufgrund dieser Befürchtungen grosse Sparpakete geschnürt: Per Budget 2024 hat die Stadt Leistungen im Umfang von 50 Mio. abgebaut – das ist massiv. Gleichzeitig haben die Rechnungen immer sehr viel besser abgeschlossen als budgetiert. Das hat zur Äufnung der Reserven geführt. Das Budget, über das wir ebenfalls mit den Wahlen abstimmen, sieht ein Defizit von 30 Mio. Franken vor. Das ist bei einem Budget von 1,4 Milliarden eine rote Null. Bleibt noch die Frage der Schulden: Diese nehmen deswegen zu, weil die Stadt daran ist, aufgeschobene Investitionen nun zu tätigen.
grünlinks: Was für Investitionen braucht es denn?
Ursina Anderegg: Wir brauchen aufgrund des Bevölkerungswachstums mehr Schulraum und genügend Sportanlagen und müssen in die Bekämpfung der Klima- und Armutskrise investieren. Eine temporäre höhere Verschuldung ist hierfür gut vertretbar. Schuldenvermeidung als Selbstzweck macht keinen Sinn. Denn: Heutige Investitionen ersparen uns Kosten von morgen!
grünlinks: Du betonst immer wieder, dass das oberste Ziel sein müsse, die vier RGM-Sitze im Gemeinderat zu halten. Warum ist das wichtig und wie erreichen wir das?
Ursina Anderegg: RGM hat als inhaltliches Bündnis weiterhin viel vor für die Weiterentwicklung einer solidarischen und grünen Stadt. Wir müssen jetzt alle in unserem Umfeld zum Wählen gehen mobilisieren. Es braucht bei diesen Wahlen jede Stimme, um die vier Sitze halten zu können.
Interview: Stefan Dietiker, Redaktion grünlinks