Was haben die beiden Gemeinden Bern und Ostermundigen gemeinsam, wo liegen die Unterschiede und wo können sie voneinander lernen und profitieren. grünlinks traf Ursula Lüthy, Emanuel Indermühle und Adrian Tanner von den GRÜNEN Ostermundigen sowie Emsale Selmani und Stefanie Dähler von der SP. Brigitte Marti hat die fünf mit der Kamera porträtiert. Die Ostermundiger Parteipräsidien der GRÜNEN, der SP und der GLP  haben gemeinsam das Komitee «Ja zur Fusion Ostermundigen-Bern» gegründet.

Emanuel Indermühle hat den Treffpunkt bei der Siedlung Oberdorf vorgeschlagen: Er und viele weitere Menschen wohnen gerne in der autofreien Siedlung. Es ist ruhig, nahe am Grünen und es leben viele Familien im Quartier. Seit gut einem Jahr ist er bei den GRÜNEN in Ostermundigen aktiv. Durch die anstehende Fusion wurde er direkt involviert und hat für das Komitee Website und Logo entworfen. Für ihn ist klar: «Durch eine Fusion erhoffe ich mir, dass die heutigen grünen Flächen länger erhalten bleiben und sorgfältiger verdichtet wird. Das heisst, dass es nicht um schnelle Siedlungsüberbauungen geht, die tendenziell weniger Grün beinhalten, sondern, dass ein sorgfältiger Umgang mit Land und Bauverantwortlichen möglich ist. Die Stadt Bern hat gezeigt, dass sie in letzter Zeit einen sorgfältigen Umgang mit Naturräumen pflegt und eine Verdichtung nach Mass angestrebt wird. Die Veloinfrastruktur in Ostermundigen sollte verbessert werden. Es gibt schon noch ein paar Stellen, wo man sich nicht so sicher fühlt.»

Ursula Lüthy ist seit 2000 in der Politik tätig und drei Jahre später nach Ostermundigen gezogen. Sie hat 2007 zusammen mit einer Handvoll weiteren Personen die GRÜNEN Ostermundigen gegründet und war anschliessend über 10 Jahre im Gemeinderat. Die heutige Präsidentin der GRÜNEN Ostermundigen sagt: «Ostermundigen ist aus grüner Perspektive ein hartes Pflaster. Wir zählen knapp 20 Mitglieder. Wenn wir mit Bern fusionierten, hätten wir natürlich direkt weitere grüne Verbündete, mit denen wir uns austauschen könnten. Für Ostermundigen wäre die Fusion auch mit Blick auf gewisse Renaturierungsprojekte ein grosser Mehrwert, so zum Beispiel für den Leutschenbach, wo ich selbst wohne. Bern und Ostermundigen waren von jeher zusammengewachsen und die Grenzen fliessend. Ostermundigen ist die urbanste Agglomerationsgemeinde rund um Bern. Ich erhoffe mir durch die Fusion bessere Leistungen im Migrationsbereich sowie für ältere Menschen, auch die Natur wird von der Stadt Bern besser geschützt und die Bauvorschriften sind strenger. Ostermundigen hat zusammen mit Bern die Stadterhitzungsinitiative lanciert. Da ziehen die Gemeinden bereits am gleichen Strang. Der Fusionsvertrag bietet eine gute Grundlage und die Stadt Bern und Ostermundigen haben hier gut zusammengearbeitet. Manche Leute haben Angst vor einem Identitäts- und Autonomieverlust. Ich mache mir da keine Sorgen. Ostermundigen wird ein Stadtteil Berns sein und schon nur durch den Namen und den sorgfältig ausgearbeiteten Fusionsvertrag seine Identität erhalten.»

Ursula Lüthy führt weiter aus: «Durch die Fusion sollte auch die Personalsuche einfacher werden. Es können Synergien genutzt und die Arbeitsbedingungen für die Verwaltungsangestellten verbessert werden. Die Verwaltung wird hoffentlich effizienter. Arbeitsplätze sind garantiert und Ostermundigen wird von vielen weiteren Dienstleistungen profitieren können. Die gegnerischen Argumente sind Scheinargumente. Bezüglich der Finanzen würde das Budget solider werden mit einem harmonisierten Steuerbetrag.»

Adrian Tanner ist seit 2007 bei den GRÜNEN aktiv. Zunächst in Dotzigen, kam er 2015/16 in die Ortspartei Ostermundigen und wurde 2016 für den Grossen Gemeinderat nachnominiert. Er war der erste grüne Präsident des Grossen Gemeinderats und meint: «Von der Fusion erhoffe ich mir für Ostermundigen eine bessere Klima- und Sozialpolitik sowie bessere Siedlungsentwicklung. Ich sehe aber die Gefahr, dass Bern Ostermundigen als Landreserve anschauen könnte – eine sogenannte dritte Allmend. Ich bin froh, hat es die räumliche Entwicklungsstrategie O’mundo (Ortsplanrevision), die von allen Parteien in Ostermundigen unterstützt wird, in den Fusionsvertrag geschafft. Das heisst,  man ist sich einig, dass auf Ostermundiger Boden für die nächsten 10-15 Jahre nicht weitergebaut wird. Es gibt eine sogenannte Bestandesgarantie mit einer wachstumskritischen Perspektive. Da schauen wir GRÜNEN natürlich genau hin und hoffen auf Unterstützung aus Bern. Die Vorteile für eine Fusion überwiegen. Was danach kommt, wäre auch ohne Fusion nicht absehbar.»

grünlinks hat zusätzlich Emsale Selmani und Stefanie Dähler von der SP Ostermundigen getroffen. Beide sind in Ostermundigen aufgewachsen und haben die Entwicklung genauestens verfolgt. Sie sind überzeugt, dass eine Fusion für beide Seiten viele Vorteile bringt.

Emsale Selmani ist seit über zehn Jahren in der SP und die Gerbestrasse, wo wir sie treffen, hat sie zum Politisieren bewegt. Sie ist in ihrer zweiten Legislatur im Grossen Gemeinderat und wird nächstes Jahr das Präsidium übernehmen. Die Gerbestrasse ist sinnbildlich für Ostermundigens Migrationspolitik, die de facto fast nicht vorhanden ist. Emsales Grosseltern wohnen in der Gerbestrasse. In ihrer Kindheit war sie viel zu Besuch und hat auf der Strasse gespielt. Erst später ist ihr bewusst geworden, wie wenig die Gemeinde für die Migrationsbevölkerung tut. Es fehlt ein Spielplatz, die Eltern waren zu eingeschüchtert, um Forderungen zu stellen, es gab weder eine integrationspolitische Kommission noch Frühförderung. «Ich erhoffe mir durch die Fusion eine bessere Integrationspolitik sowie die Frühförderung von Migrationskindern und DeutschBons. Durch die Fusion zahle ich weniger Steuern und habe mehr Zugang zu Dienstleistungen, mehr Fachstellen; der Service public ist besser. Auch für die Jugendlichen gibt es momentan nichts. Kein Jugendzentrum. Mit der Fusion könnte sich dies ändern. Bern könnte sich dagegen an den schlanken Verwaltungsprozessen noch etwas abschauen und lernen, wie in der Verwaltung Prozesse optimiert werden können.»

Wir treffen Stefanie Dähler beim Schulhaus Dennigkofen. Hier ist sie zur Schule gegangen und war auch ein Jahr als Lehrerin tätig. Nach mehreren Jahren im Ausland ist sie zurückgekommen und seit 2019 im Grossen Gemeinderat. «Ich möchte dort mitgestalten, wo ich lebe. Ich habe gemerkt, dass die Schulraumplanung komplett vergessen ging. Es gibt vier Schulhäuser, das fünfte muss jetzt teuer saniert und angebaut werden. Mir ist die Zukunft sehr wichtig und dazu gehören die Schule und die Kinder; wie sie aufwachsen, gefördert  und ausgebildet werden. Der finanzielle Spielraum wächst durch die Fusion. Die Ferienbetreuung ist besser. Zusammen sind wir stärker. Durch die Fusion erhalten viele Menschen bessere Dienstleistungen. Für die Jugendlichen sind die Grenzen sowieso fliessend. Bern gewinnt einen durchmischten Stadtteil, der sehr urban ist. Für den Wirtschaftsstandort ist es auch interessant. 19’000 Menschen profitieren und haben mehr Chancengleichheit.» Der Identitätsverlust ist auch für sie nur ein Scheinargument und Angstmacherei.

Milena Geiser, Redaktion grünlinks (Fotos: Brigitte Marti)

An der Mitgliederversammlung des GB wurde die JA-Parole zur Fusion Ostermundigen-Bern gefasst.

Aus der Medienmitteilung: Ja zur Fusion Bern-Ostermundigen

Klimakrise, Wohnungsknappheit, Armutsbekämpfung: «Diese Probleme machen nicht an der Stadtgrenze halt und können in einem grösseren urbanen Raum gezielter angegangen werden», so Katharina Gallizzi, Stadträtin des Grünen Bündnis.

Zwar wurde von einigen Mitgliedern der Fusions-Prozess als wenig partizipativ kritisiert und das GB bedauert, dass der Gemeinderat nicht auf sieben Mitglieder aufgestockt wird. Dass die Wohninitiative in Ostermundigen nicht umgesetzt wird, Ostermundigen eine eigene Bauordnung bekommt und der Absenkpfad im Klimareglement für Ostermundigen noch nicht definiert ist, sind weitere Schwachpunkte des Fusionsvertrags.

Doch obwohl die Fusion nicht optimal ausgehandelt wurde, überwiegen die Vorteile: Die grössere Gemeinde hat im Kanton ein grösseres Gewicht. Und was vor allem zählt: Im sozialen Bereich wird sich die Lebenssituation der Ostermundiger*innen verbessern. Die JA-Parole war an der Mitgliederversammlung deshalb kaum bestritten.