Gemäss dem Bundesamt für Statistik lebten in der Schweiz 2019 8,7% der ständigen Wohn- bevölkerung in Armut1. Die Zahl der Armutsbetroffenen hat schon vor Corona zugenommen, wobei insbesondere die Kinder- und Familienarmut Anlass zur Besorgnis geben. Die Entwicklung in der Stadt Bern folgt den gesamtschweizerischen Zahlen. Die Situation hat sich mit Corona weiter ver-schärft. Der Gemeinderat hat deshalb schon letztes Jahr entschieden, Gutscheine und Lebensmit-tel an Menschen abzugeben, die von den Folgen der Pandemie besonders betroffen sind. Auf diese Unterstützung sind insbesondere Sans-Papiers, Obdachlose oder Sexarbeiterinnen angewie-sen. Diese Soforthilfen sollen gemäss Medienmitteilung des Gemeinderates auch im kommenden Jahr fortgeführt werden. Der Stadtrat hat die IAFP-Planungserklärung (Grundsatzdebatte, Antrag 37, SP/JUSO) „Soziale Folgen Corona“2 in der diesjährigen Budget-/IAFP-Debatte überwiesen. Diese fordert, dass der Gemeinderat Massnahmen zur Linderung sozialer (Langzeit-) Folgen zu ergreifen habe. Die Planungserklärung verlangt insbesondere, abhängig von der höheren Anzahl armutsgefährdeter und armutsbetroffenen Menschen in der Stadt Bern, die Mittel entsprechend im Vergleich zum Budget 2021 zu erhöhen.
Durch die Pandemie hat sich die Lage zugespitzt, indem weitere Haushalte, die sich vor der Krise knapp über Wasser halten konnten, definitiv in die Armut gerutscht sind. Menschen, welche unter dem Existenzminimum leben, sind rasch auf finanzielle Unterstützung und zusätzliche Beratungs-angebote angewiesen, da sie nicht auf Reserven zurückgreifen können. Im Fokus stehen hier ins-besondere jene Menschen, die keine Sozialhilfe beziehen, obwohl sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen wären, um ihren Lebensbedarf zu decken: Die Einen trauen sich nicht, Sozialhilfe zu beantragen, weil sie (zu Recht) befürchten, ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Für Andere stellt der Gang zur Sozialbehörde eine zu hohe bürokratische Hürde dar oder sie schämen sich, Sozialhilfe zu beantragen. Die Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig es wäre, diese Menschen und ihren Bedarf zu kennen und zu erreichen. Die Stadt muss sicherstellen, dass die armutsbetroffenen und -gefährdeten Haushalte (v.a. auch ausserhalb der sozialstaatlichen Systeme) erfasst werden, um entsprechende Massnahmen ergreifen, bzw. bestehende Angebote stärken zu können. Anerbieten würde sich hierbei z.B. eine Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule, welche mit der Caritas ein Monitoringtool aufgebaut hat, was für die Stadt adaptiert werden könnte.3 Dadurch, dass Armut oft unsichtbar ist, kann vielen Menschen nicht die dringend notwendige Unterstützung zukommen.

Um abschätzen zu können, inwiefern der Gemeinderat in dieser Thematik über die bisherigen Bestrebungen hinaus bereits aktiv geworden ist, wird er gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
1. Wo steht der Gemeinderat in der Umsetzung der vom Stadtrat überwiesenen Planungs-erklärung „Soziale Folgen Corona“ für die Budgetjahre 2023 und weitere?
2. Wie erfasst der Gemeinderat die Lebenssituation weniger privilegierter Stadtbewohner*innen (auch ausserhalb der Sozialhilfe) über die reine statistische Erfassung hinaus? Inwiefern arbei-tet er dazu mit gemeinnützigen Organisationen und den Schulen zusammen?
3. Welche soziodemografischen Aussagen in Bezug auf Armut und Armutsgefährdung in der Stadt lassen sich machen (wie z.B. nach Geschlecht, Aufenthaltsstatus, Haushaltstypen, Alter, etc.)?
4. Inwiefern hat sich pandemiebedingt die Situation der armutsbetroffenen und -gefährdeten Stadtbewohner*innen verändert bzw. verschlechtert?
5. Welche Massnahmen ergreift der Gemeinderat zur Abfederung weiterer sozialer Folgen der Pandemie? Kann hier zwischen kurz-, mittel- und längerfristigen Massnahmen unterschieden werden? Inwiefern betten sich diese Massnahmen in eine grundsätzliche städtische Strategie zur Armutsbekämpfung ein?
6. Wie stellt der Gemeinderat sicher, dass Personen, welche Anspruch auf Sozialhilfe haben auch Zugang zu dieser erhalten?
7. Wie hoch ist die Erhöhung des Betrages für die kommenden Budgets im Vergleich zum Budget 2021 für die Umsetzung der ergriffenen Massnahmen?

Begründung der Dringlichkeit:
Die Folgen der Pandemie manifestieren sich fortlaufend, es ist deshalb im Interesse des Stadtra-tes, zeitnah über den Stand der städtischen Massnahmen im Zusammenhang mit der Armutsbe-kämpfung informiert zu werden. Dies insbesondere, da der Prozess zum Budget 2023 bereits im Frühling seinen Anfang nimmt und für eine frühstmögliche Einspeisung allfälliger Forderungen eine fundierte Grundlage zentral ist.

Bern, 09. Dezember 2021
Erstunterzeichnende: Ursina Anderegg, Bernadette Häfliger, Simone Machado, Tabea Rai
Mitunterzeichnende: Lena Allenspach, Nicole Cornu, Bettina Stüssi, Halua Pinto de Magalhães, Fuat Köçer, Ayse Turgul, Valentina Achermann, Franziska Geiser, Sara Schmid, Diego Bigger, Mohamed Abdirahim, Nicole Bieri, Anna Jegher, Nora Joos, Jelena Filipovic, Seraphine Iseli, Re-gula Bühlmann, Lea Bill, Katharina Altas, Michael Sutter, Nora Krummen, Daniel Rauch, Barbara Nyffeler, Barbara Keller, Ingrid Kissling-Näf, Eva Chen, Alexander Feuz

 

1 BFS Erhebung, über die Einkommen und Lebensbedingungen 2019
2 Planungserklärung zu IAFP 2022-25 „Soziale Folgen Corona: Der Gemeinderat wird aufgefor-dert, soziale (Langzeit-) Folgen von Corona mit entsprechenden Massnahmen zu lindern. Ab-hängig von der Erhöhung der Anzahl armutsgefährdeter Menschen in der Stadt Bern sind ent-sprechend Mittel im Vergleich zum Budget 2021 zu erhöhen. Die SBK ist darüber im Rahmen der Jahresberichterstattung 2022-25 in Kenntnis zu setzen. Begründung Planungserklärung.
3 Vgl. Oliver Hümbelin und Robert Fluder. Armutsmonitoring-das Instrument gegen Armut. In: «knoten&maschen“. BFH-Blog zur Sozialen Sicherheit. 28.9.2020.